2.3.5 Die Beiträge des Physikers von Weizsäcker

2.3.5 Die Beiträge des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker zur Anerkennung der Menschenrechte

Der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker hatte während des 2. Weltkriegs auf deutscher Seite an der Entwicklung von Voraussetzungen zum Einsatz von Atombomben gearbeitet und damit zur weltweiten Eskalation des Wettrüstens beigetragen. Daraufhin beschäftigte er sich intensiv mit der Verantwortung von Naturwissenschaftlern für die politisch-gesellschaftlichen Folgen ihrer Arbeit. Im Rahmen des eigens zu diesem Zweck in Starnberg eingerichteten „Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt“ widmete er sich jahrelang Fragestellungen der Friedens- und Konfliktforschung, gemeinsam mit Jürgen Habermas, einem prominenten Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule.

Dabei untersuchte er u.a. die Rolle politisch-gesellschaftlicher Führer bzw. Herrscher, die sich – bzw. ihre Arbeitsweise – im Anschluss an die Überwindung offensichtlicher Kriegs- und Notstandsbedingungen nicht sogleich wieder auf die Gegebenheiten normal-friedlicher Lebensumstände umstellten, sondern beibehielten – der Versuchung erliegend, sich ihre erlangten Herrschaftspositionen erhalten zu wollen und zu diesem Zweck die Bevölkerung ideologisch zu manipulieren. Dazu stellte er fest:

„Herrschaft” nimmt fast stets das eigene Interesse der Herrschenden so wahr, als sei es das Gesamtinteresse.”(C. F. von Weizsäcker: Wege in der Gefahr. München 1976, S. 245.)

„Mit der Unterscheidung von eigenem Partikularinteresse und Gesamtinteresse nimmt C. F. v. Weizsäcker eine bedeutsame Differenzierung des Interessenbegriffes vor, die ihm die Definition seines Begriffs des ideologischen Verhaltens ermöglicht. Ideologisches Verhalten beruft sich auf allgemein anerkannte Prinzipien wie der Verfolgung des Gesamtinteresses, während es in Wirklichkeit eigene, davon mehr oder weniger abweichende Partikularinteressen verfolgt, wobei es sich um bewusste Täuschung oder um unbewusste Selbsttäuschung handeln kann. „Die raffiniertere und harmlosere Form ideologischen Verhaltens ist der bewusste Missbrauch der Prinzipien fürs eigene Interesse, die primitivere und gefährlichere der unbewusste Missbrauch, also die Selbstbelügung”: „Sie sagen Christus und meinen Kattun. Sie sagen Freiheit und meinen Erdöl. Sie sagen Sozialismus und meinen ihre Herrschaft.” (Peter Kern und Hans Georg Wittig: Pädagogik im Atomzeitalter. Wege zu innovativem Lernen angesichts der Ökokrise. Freiburg: Herder 1982, S. 35 f. Als Literaturverweis für die Zitate am Ende des Absatzes werden hier angegeben: C. F. von Weizsäcker: Fragen zur Weltpolitik 1975, S. 122ff., und C. F. von Weizsäcker: Der bedrohte Friede. München 1981, S. 292ff.)

Unter Kriegs- und Notstandsbedingungen gelten andere Moralprinzipien und Gesetze als in Friedenszeiten. Während das Prinzip von Befehl und Gehorsam und bestimmte Formen der Arbeitsteilung in Kriegszeiten unter der Freund-Feind-Gegensätzlichkeit und der Devise Selbstbehauptung oder Untergang zweckmäßig sein können, wirkt sich deren Beibehaltung unter Friedensbedingungen gravierend destruktiv aus. Unter den Bedingungen des sog. Ost-West-Konflikts bzw. des sog. Kalten Krieges, die in Deutschland über Jahrzehnte andauerten, ließ sich die für Friedenszeiten zweckmäßige ethische Haltung der Grund- und Menschenrechte in der Bevölkerung pädagogisch kaum fördern und einüben: Pädagogen, die sich für konsequente Friedenserziehung einsetzen wollten, etwa entsprechend den Konzepten der UNESCO, wurden in den 70er Jahren infolge des politisch propagierten undifferenzierten Schwarz-Weiß-Denkens in Westdeutschland als „Kommunisten“ der Kollaboration mit den Mächten des Ostblocks bezichtigt und mit Berufsverboten belegt.

In seinem Buch „Wege aus der Gefahr“ schrieb Carl Friedrich von Weizsäcker:

„Zum Bewusstseinswandel gehört ein tiefer Schreck, dem man, wenn er einmal geschehen ist, nicht mehr entlaufen kann.“ (Carl Friedrich von Weizsäcker: Wege aus der Gefahr. München 1976, S. 138.)

Sein Buch „Wohin gehen wir“ schließt mit der Aufforderung: „Lasst uns verantwortliche Nächstenliebe lernen“. Dieser Lösungsvorschlag greift auf die Lehre Jesu Christi zurück und zielt in die gleiche Richtung wie der Artikel 26 der Declaration of Human Rights:

„Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern und allen rassischen oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens unterstützen.“

Hier geht es insbesondere um die von der UNESCO geförderte Überwindung von Feindbildern, von Verteufelungen von Gegnern sowie um die Anerkennung alles zunächst Fremden als prinzipiell gleichwertig. Ohne hierauf gerichtete Bildung und Erziehung lässt sich Frieden weder herstellen noch aufrechterhalten. Wesentliche Grundlagen sozialer Gerechtigkeit und der Würde des Menschen definierte bereits Jesus von Nazareth: „Was ihr für einen der am geringsten Geachteten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)

„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mt. 20, 25-28)