2.3.7 Das Subsidiaritätsprinzip
2.3.7 Das Subsidiaritätsprinzip achtet die Würde und die Kompetenzen mündiger Bürger
Gerichte und das staatliche Rechts- und Aufsichtswesen, insbesondere Jugendämter, psychiatrische, psychotherapeutische, sozialpädagogische, beratende und pädagogisch-bildende Einrichtungen sowie andere Dienststellen zur Unterstützung der Bürger, etwa Polizei-, Verfassungsschutz-, Staatssicherheits- und Qualitätsmanagement-Einrichtungen, unterliegen in demokratischen Rechtsstaaten angesichts der Grund- bzw. Menschenrechte generell dem Subsidiaritätsprinzip. Dem entsprechend sollen die Bürger Aufgaben, Handlungen und Problemlösungen so weit wie möglich selbstbestimmt und eigenverantwortlich übernehmen, indem sie sich aufgrund erworbener Einsichten bzw. auf der Basis ihrer Erziehung und Bildung von sich aus freiwillig an den durch Art. 1 und 2 des Grundgesetzes definierten Umgangsregeln orientieren. Dem entsprechend sollen übergeordnete staatliche Instanzen nur und erst dann von sich aus aktiv werden und eingreifen, wenn die den unmittelbar Beteiligten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Kompetenzen in ganz offensichtlicher Weise nicht ausreichen, um zu einvernehmlichen und zugleich sachgerechten sowie der Menschenwürde gemäßen Lösungen zu gelangen. Staatliche Instanzen sind dafür da, von Bürgern in Anspruch genommen zu werden, wenn deren eigene Bemühungen um Konflikt- und Problemlösung zu keinem einvernehmlichen Ergebnis geführt haben.
Wer sich zufriedenstellende Konfliktlösungen bei eigenen Anliegen wünscht, wird im eigenen Interesse immer Verfahren bevorzugen, in die er selbst weitestgehend einbezogen ist und bleibt. Er wird seine Angelegenheit nicht bedenkenlos einer richterlichen Entscheidung überlassen, es sei denn, er kennt den zuständigen Richter und dessen Haltung zu derartigen Angelegenheiten ganz genau. Denn ist es nicht ein eher seltener Glücksfall, wenn Recht-Haben mit Recht-Bekommen einhergeht? Da man normalerweise nicht weiß, an welchen Richter man gerät und welche Entscheidung von diesem getroffen werden wird, ist es empfehlenswert, sich eine richterliche Entscheidung zu ersparen, indem man ein Vorgehen wählt, das gute Chancen zur Einigung mit der Gegenseite bietet.
Dabei sollte man von vorneherein davon ausgehen, dass eine Einigung nur erreichbar sein dürfte, wenn beide Seiten die Bereitschaft zeigen, ihre bisherige eigene Position zu überdenken und sich auf einen Kompromiss oder eine neue Betrachtungs- oder Herangehensweise der Angelegenheit gegenüber (d.h. auf eine Metaebene) einzulassen. Dazu ist eine positive und gelassene Grundhaltung Konflikten gegenüber zweckmäßig: Konflikte sind im Kontakt mit anderen prinzipiell unvermeidbar, da sie angesichts normaler Missverständnisse und Meinungsunterschiede sowie unterschiedlicher Bedürfnisse und Interessen stets auftreten können. Sie lassen den Kontakt miteinander interessant und bereichernd werden. Sie bieten Gelegenheiten, Wichtiges voneinander zu erfahren und sich gegenseitig besser kennenzulernen – auch die eigenen Begrenzungen und die anderer, mit der Möglichkeit, über diese Begrenzungen allmählich hinauszuwachsen. Sie treten als Herausforderungen auf, um aus eigenen starren Positionen hinauszugelangen und dadurch flexibler, umsichtiger und kompetenter zu werden.
Dies zeigt sich z.B. in den Aktivitäten islamischer Streitschlichter bzw. Friedensrichter in Deutschland, wodurch immer wieder die deutsche Strafgerichtsbarkeit nicht in Anspruch genommen werden muss. Hierauf machte u.a. der Journalist Joachim Wagner aufmerksam.
In der Regel werden Konflikte als unbequem und lästig erlebt. So, wie Bergsteigen anstrengend sein kann und gerade dadurch auch wohltuend, so wie die wunderbare Aussicht auf dem bestiegenen Gipfel. Ebenso hat jeder gut bewältigte zwischenmenschliche Konflikt Glücksgefühle und Erleichterung zur Folge. – Derartiges könnte Roman Herzog in seiner „Ruck-Rede“ gemeint haben, als er zu mehr menschlicher Flexibilität und zu weniger juristisch-bürokratischer Reglementierung ermunterte. Denn je besser Bürger ihre Angelegenheiten und Auseinandersetzungen untereinander friedlich und zugleich zweckmäßig regeln können, umso weniger müssen staatliche Instanzen für die Bürger tun. Somit führen gelungene Bildungsmaßnahmen zur finanziellen Entlastung des Staatshaushalts.
Menschen, die Schwierigkeiten im Umgang mit Konflikten haben, können vielfältige Formen der Unterstützung in Anspruch nehmen. Wer sich Fortbildungs-, Schulungs-, Coaching- und Konfliktmanagement-Maßnahmen finanziell nicht leisten kann, mag psychotherapeutische Begleitung in Anspruch nehmen, die unter bestimmten diagnostischen Voraussetzungen von den Krankenkassen als Pflichtleistung kostenmäßig übernommen wird. Inzwischen ist der diesbezügliche Bedarf in Deutschland allerdings derartig gewachsen, dass es schwierig geworden ist, hierfür Termine zu bekommen. Als leicht verfügbare und kostengünstige Alternativen bieten sich psychologische Ratgebertexte (Bücher) und die Teilnahme an Seminaren und Selbsthilfegruppen an. Angesichts des enormen Bedarfs ist das Studienfach „Psychologie“ in Deutschland bereits schon seit vielen Jahren dasjenige mit dem insgesamt anspruchsvollsten Numerus Clausus-Notenwert. Denn im Fachbereich „Psychologie“ lässt sich umfassende menschliche Kompetenz erlernen und finden.