2.4.2 Enorme Rechtsunsicherheit in Deutschland
2.4.2 In Deutschland herrscht enorme Rechtsunsicherheit
Es sind zahlreiche Doppelt- und Mehrfachreglementierungen entstanden, die Bürger mit Bestrafung und ggfs. Gefängnis bedrohen, die wagen, etwas zu sagen oder zu unternehmen. Jegliches Handeln geht mit gravierenden Unsicherheiten und Ängsten einher. Kein normaler Mensch bzw. Nichtjurist kennt sich noch in dem Dickicht der Regelungen und Bestimmungen aus, an die man sich angeblich zu halten hat. Politiker, die selbst nicht genau wissen, was seit Jahrhunderten in der Gesetzgebung verabschiedet wurde und noch gilt, erlassen ohne hinreichenden Überblick über das Vorhandene immer neue Regelungen und mahnen zugleich die mangelhafte Wirksamkeit der getroffenen Regelungen bzw. deren Nichteinhaltung an. Damit tragen sie zu allerorts kontinuierlich wachsender Uneindeutigkeit, Unklarheit, Ängstlichkeit und Unbeweglichkeit bei - ein völlig natürlicher Vorgang angesichts des unglücklichen Umstandes, dass offensichtlich eine Hand nicht weiß, was die andere tut oder bereits getan hat.
„Denn - und das sollte jeder Bürger wissen - der Text einer Strafnorm ist selten geeignet, einen Nichtjuristen oder auch einen Juristen, der die Rechtsprechung und die Literatur zu dieser Strafnorm nicht kennt, in die Lage zu setzen, klar zu bestimmen und im Einzelfall festzustellen, ob eine strafbare Handlung vorgelegen hat oder nicht. Dies beruht darauf, dass es gar nicht möglich ist, jede menschliche Handlung gesetzlich zu erfassen. Der Gesetzgeber hat deshalb versucht, Normen zu formulieren, die der juristischen Literatur und der Rechtsprechung die Möglichkeit geben, anhand des allgemein formulierten Gesetzestextes den Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist zu beachten: Bei der Formulierung der Gesetze sind dem Gesetzgeber oft sprachliche Fehler unterlaufen, die den Bürger irreführen können, dem Juristen aber bekannt sind. Rechtsliteratur und Rechtsprechung haben sich entwickelt und entwickeln sich weiter.
Innerhalb der Literatur und innerhalb der Rechtsprechung werden zu bestimmten Vorgängen nicht selten entgegengesetzte Meinungen vertreten und auch unterschiedliche und damit sich widersprechende Urteile gefällt. Unterschiedliche Rechtsprechung ist allerdings oft durch die Anrufung höherer Gerichte zu vermeiden. Aber nicht jedes Rechtsmittel gegen ein falsches Urteil führt zum Erfolg, und rechtskräftige falsche Urteile können nur mühsam erneut angegriffen werden durch Wiederaufnahmeverfahren, die besonders selten von Erfolg gekrönt sind.
Der Bürger wird dies mit Recht als eine Zumutung empfinden; denn er soll nach Meinung des Staates kraft Gewissen und Erziehung wissen, was strafbar ist. Diejenigen aber, die sich mit Strafrecht befassen, Rechtswissenschaftler (in der Literatur), Staatsanwälte (in der Strafverfolgung) und Urteilende (Richter) sowie die Verteidiger streiten sich nicht selten darüber, ob etwas strafbar ist oder nicht.
Meist aber hat in der Strafverfolgung und im Strafverfahren die Frage, ob der Beschuldigte die strafbare Handlung überhaupt begangen hat bzw. ob sie ihm nachgewiesen werden kann, mehr Bedeutung als der Streit über Strafnormen. Gerade hier liegen oft entscheidende Fehlerquellen; denn die Beweismittel, die den Strafverfolgungsorganen zur Verfügung stehen oder von ihnen gesucht werden, sind - von Ausnahmefällen abgesehen - meist verschieden interpretierbar. Selbst ein Geständnis des Beschuldigten kann falsch sein. Der Bürger kann demnach zu Recht oder zu Unrecht angeklagt und verurteilt oder freigesprochen werden. Menschliche Unzugänglichkeit bei der Wahrheitsfindung ist nicht vermeidbar.“ (Hans Latz: Bürger und Strafverfolgung. In: Hans Latz und Manfred Thau (Hg.) Unser Recht heute. 1987, S. 445 f.)
Die finanziellen Kosten dieser Gegebenheiten sind gigantisch und es bedarf dringend einer gut handhabbaren Korrektur-Vorgehensweise, damit Deutschland sich nicht selbst mit unerträglichen Reglementierungen stranguliert und aufgrund allseitiger Leistungsüberforderung erschöpft zusammenbricht. Die Orientierung an sozialpsychologischen Funktionskriterien ermöglicht eine relativ einfache und zügige Brauchbarkeitsklärung und macht somit das Beschreiten umständlicher, zeitraubender und vom Ergebnis her fragwürdiger Rechtswege und Auseinandersetzungen zwischen Parlamenten und Gerichten unnötig. Das ermöglicht enorme Kosteneinsparungen.
Anstatt diesen nützlichen Weg zu beschreiten, gibt es aktuell starke Tendenzen, öffentliche Mittel einzusparen, indem Gerichte organisatorisch regional zusammengelegt und die dortigen Personalkosten verringert werden. Bei ohnehin überlasteten Justizbehörden bewirkt das sinkende Chancen der Bürger, Gerechtigkeit zu erfahren. Damit bereiten deutsche Abgeordnete und Politiker jeglicher Form von Willkür den Boden.