3.3.3 Auschwitz sollte sich nie wiederholen

3.3.3 Auschwitz sollte sich nie wiederholen… doch nichts wiederholt sich in identischen Formen

In weiser Voraussicht hatten Theodor W. Adorno und seine experimentell-sozialwissenschaftlich arbeitenden Kollegen gefordert, dass „Auschwitz“ sich nie wiederholen dürfe. Sehr wohl wussten sie, dass sich in der menschlichen Geschichte nie etwas wiederholt – es kommt immer etwas, was ganz anders aussieht und was sich gerade deshalb noch viel verheerender auswirken kann als alles Bisherige. Denn weil es völlig anders aussieht, erwartet man davon zunächst nichts vergleichbar Schlimmes. Sieht man „Auschwitz“ nicht vorrangig als eine Stadt mit einer besonderen Geschichte, sondern als Bezeichnung für grausame Bedingungen, die Menschen in den Tod trieben, so wird wesentlich deutlicher, was Sache ist und auf dem Spiel steht.

Eine Verfassungsordnung lässt sich außer Kraft setzen, ohne dass Ermächtigungsgesetze oder Verfassungsänderungen erforderlich sind. Gesetze sind nicht die einzigen Mittel, um das Verhalten von Menschen in eine bestimmte Richtung zu bringen. Das geht auch mit finanziellen Steuerungsmaßnahmen, also Geld. Gaskammern sind durch materiell-finanzielle Mittel ersetzbar: Indem Menschen in Geldmangel getrieben werden, so dass sie für sich und ihre Familien keine Überlebenschancen mehr erkennen können, lassen sie sich auf eine Weise vernichten, die äußerlich wie Suizid oder Sonstiges aussieht. Dazu muss sich niemand in offensichtlich erkennbarer Weise die Hände schmutzig machen.

Die Täter tragen keine braunen Uniformen mehr und Maschinengewehre. Stattdessen laufen sie vielleicht in schicken Anzügen und attraktiven Kostümen umher – der Teufel trägt „Prada“. Sie rufen keinesfalls „Sieg Heil!“ Es geht hier und heute nicht um die Vernichtung einer bestimmten Volksgruppe, etwa von Juden. Das Mordinstrument ist ein völlig unverdächtiger Rotstift, der dafür sorgt, dass andere andere quasi in den Schuldenturm werfen und dort umkommen lassen.

Was im Verborgenen gehalten werden kann, das sind die Umstände, die zur Verschuldung geführt haben. Denn nicht immer liegt der Grund dafür im Versagen von Schuldnern oder in deren Misswirtschaft. Die Verschuldung kann auch auf strategischen wirtschaftlichen Schachzügen beruhen, die dazu geführt haben, dass ganze Staaten wie Griechenland, Spanien, Portugal usw. ihre Waren nicht mehr zu hinreichend kostendeckenden Preisen auf dem einschlägigen Markt verkaufen können. Die Drahtzieher können anonym bleiben und sich recht sicher sein, unentdeckt und unbestraft davon zu kommen. Letztlich ist im Blick auf das Endergebnis unerheblich, ob es überhaupt jemals bewusst agierende Drahtzieher gegeben hat oder ob sich die gesamte Entwicklung quasi naturwüchsig ergab, so wie bei einer Naturkatastrophe. Bei Kriegen, die in erster Linie mit psychologischen Mitteln geführt werden, lässt sich von niemandem zweifelsfrei klären, wie was im Einzelnen zustande kam. Das ist letztendlich auch uninteressant, wenn es ohnehin zu spät ist und die apokalyptischen Reiter unaufhaltsam ihren Lauf nehmen und alles vernichten.

Was angesichts derartiger Aussichten zählt, sind geeignete Mittel der achtsamen Vorsorge, damit es gar nicht erst so weit kommt. Ein hierzu wirkungsvolles Mittel besteht in naturwissenschaftlich fundierter Arbeit, die in zweifelsfreier Weise dem Wohl aller Menschen dient. Um dazu beizutragen, entwickelte Adorno einen Fragebogen zur ‚autoritären Persönlichkeitsstruktur’, um problematische Führerfiguren erkennen zu können, die hitleranalog stur und konsequent entgegen aller gebotenen Rücksichtnahme auf andere Menschen nur das verfolgen, was sie sich vorgenommen haben.
Solche Menschen erkennen zu können, ist allerdings zur Vorsorge noch nicht hinreichend. Wirkungsvolle Vorsorge erfordert ein Bewusstsein dafür, dass es überall derartige Menschen gibt, vor allem auch in der Politik.

Jedem, der von anderen unbedingte Gefolgschaft oder unbedingten Gehorsam erwartet, egal wo, in welcher Form und in welcher Richtung, kann, darf, sollte und muss in angemessener Weise Widerstand entgegengebracht werden, sobald aufgrund dieser Erwartung eine Bedrohung oder sogar Einschränkung der Grundrechte erkennbar ist.( Karin Storch "Abiturrede:„Erziehung zum Ungehorsam als Aufgabe einer demokratischen Schule“)

Angemessen ist in derartigen Fällen in erster Linie eine Weise des Widerstands, die die Würde und Freiheit derjenigen Person, die derartige Erwartungen formuliert, ebenfalls achtet. Eine derartige gegenseitige Achtung der Würde und Freiheit setzt praktische und materielle Rahmenbedingungen voraus, die diese erst möglich machen. Solche Rahmenbedingungen sind heute vorhanden und erhältlich. Wo sie fehlen, sind sie mit Vordringlichkeit herbeizuführen. So gibt es heute z. B. genügend Lernangebote für gewaltfreie Kommunikation.